Wie die „CDU-Fraktion nach den Paukenschlägen eines einzelnen SPD-Abgeordneten in die Knie“ gegangen ist…

Wie schon in Teil I beschrieben, gab es vor Ort zwei Volksschulen: eine relativ kleine evangelische Bekenntnisschule und eine größere, ausreichend besuchte katholische Bekenntnisschule. Auf Landesebene und in schulpolitisch interessierten Kreisen hatte sich schon seit einiger Zeit die Ansicht durchgesetzt, eine Volksschule müsse eine gewisse Größe haben, um sinnvoll mit den Schülerinnen und Schülern arbeiten zu können, um qualitative Förderung besser zu ermöglichen. Deswegen hatte die Niedersächsische Landesregierung am 14.9.1954 das „Gesetz über das öffentliche Schulwesen“ beschlossen. Kleine Schulen, die diese Größenvorgabe mangels Schülerinnen und Schülern nicht erfüllen konnten, sollten möglichst in eine größere Schule vor Ort eingegliedert werden – auch in solche mit einem anderen christlichen Bekenntnis.

Am 8. Januar 1956 bat der Elternrat der evangelischen Volksschule in Kenntnis der Situation an seiner Schule und sicher auch in Kenntnis der Diskussionen um das Schulgesetz von 1954 den Schulträger – die Gemeinde Gieboldehausen – um die Genehmigung der Aufhebung der evangelischen Volksschule, weil nach „Abschnitt II § 14 des Gesetzes über das öffentliche Schulwesen“ einer „voll ausgelasteten Schule einer wenig gegliederten Schule der Vorzug zu geben ist.“[1] Das bedeutete nichts anderes, als den Wunsch der Eingliederung der evangelischen Schülerinnen und Schüler in die katholische Volksschule und damit deren Umwandlung in eine christliche Gemeinschaftsschule. Man kann sicher davon ausgehen, dass angesichts der grundsätzlichen Bedeutung dieses Wunsches und seiner Folgen zuvor Gespräche der evangelischen Elternschaft mit den verantwortlichen Ratsherren und Kreistagsabgeordneten stattgefunden haben. Ganz sicher hat es auch eine Rückversicherung bei den evangelischen Kirchenbehörden gegeben. Die evangelische Landeskirche hatte dem Gesetzesvorhaben bereits ohne Widerspruch zugestimmt

Der Antrag der evangelischen Eltern traf am 20.1.1956 in der Gemeinde ein – und damit eigentlich zu spät, um es noch in der Gemeinderatssitzung einen Tag später auf die Tagesordnung zu schaffen. Es bedurfte also der Feststellung der Dringlichkeit. Die „Südhannoversche Volkszeitung“ - man kann sie mit Recht als die Zeitung des eichsfeldisch-katholischen Lebensgefühls des späten 19./frühen 20. Jahrhunderts und des (ehemaligen) Zentrums bezeichnen - war über den Verlauf dieser Sitzung so erschrocken und empört, dass sie in ihrer Ausgabe vom 24.1.1956 jegliche Beißhemmung verlor und den journalistischen Grundsatz, Kommentar und Bericht sorgfältig voneinander zu trennen, völlig über Bord warf und in einer Weise berichtete, die aus heutiger Sicht zwischen amüsant und empörend einzuordnen ist. Daher soll an dieser Stelle etwas länger zitiert werden, auch, um die damalige grundsätzliche Denkweise etwas klarer hervortreten zu lassen:

Soll das der Anfang sein? Ein Meisterstück der Gemeindepolitik. Gieboldehausen will als erste Gemeinde die Bekenntnisschule auflösen.

Einen Überraschungsschlag, das muss hier festgestellt werden, landete die SPD-Fraktion in der Gemeinderatssitzung am Sonnabend. Urplötzlich und von vielen Ratsmitgliedern unerwartet, verlas Kreistagsabgeordneter und SPD-Gemeinderatsmitglied Bode einen Antrag des evangelischen Elternrates, der von fünf Abgeordneten der SPD, FDP und des BHE schriftlich unterstützt war. Dieser Antrag hatte etwa folgenden Inhalt: Der Elternbeirat der evangelischen Volksschule bittet den Gemeinderat um Aufhebung der evangelischen Schule….. Auf gut Deutsch heißt das also: Gieboldehausen soll als erste Gemeinde im Kreis Duderstadt eine Gemeinschaftsschule erhalten. Ehe jedoch eine Abstimmung erfolgte, stellte der Sprecher der CDU-Fraktion, Kreistagsabgeordneter Gerhardy, folgenden Antrag: Dieser o. a. Beschluss soll zurückgestellt werden, bis das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe über die Feststellungsklage der Bundesregierung entschieden hat, ob das Niedersächsische Schulgesetz gegen das Konkordat verstößt….. Dieser Antrag wurde mit 8 Nein-Stimmen abgelehnt.

Und dann, als die Abstimmung über den vom Abg. Bode vorgebrachten Antrag vorgenommen wurde, gab es ein Fiasko. Dass die CDU-Fraktion allein nichts besehen konnte, war klar, dass aber so ein Abstimmungsergebnis jemals über die Gieboldehäuser Bühne ziehen würde, hat man sich sicherlich nicht einmal in den bösesten Träumen ausgemalt. Der Antrag zur Aufhebung der Konfessionsschulen wurde mit acht Ja-Stimmen, einer Nein-Stimme und sechs Enthaltungen angenommen!

Ein erschütterndes Ergebnis. Wo war die CDU? Hat sie sich überrumpeln lassen? Was hat sie sich dabei gedacht, in einer überwiegend katholischen Gemeinde die Bekenntnisschulen aufzulösen? Denn das war doch das Ziel der Abstimmung, die mit sechs Stimmenthaltungen vorgenommen wurde. Oder sollte es tatsächlich Politiker gegeben haben, die den Sinn des Antrags „Wir fordern die Aufhebung der evangelischen Schule“ nicht ganz verstanden haben? Eine Schulform aufheben heißt, eine Bekenntnisschule mit der anderen verschmelzen…. Dem neutralen Beobachter drängt sich der Gedanke auf, dass die CDU-Gemeinderatsfraktion nach den Paukenschlägen eines einzelnen SPD-Abgeordneten in die Knie gegangen ist.

Meine Herren Gemeinderatsmitglieder, hoffentlich eifert man Ihrem Beispiel im Kreis Duderstadt nicht noch mehr nach! Denn es wird schlecht um die Erziehung unserer Kinder bestellt sein, wenn die ersten dissidentischen Lehrer mit ihrem Unterricht in unseren Schulen beginnen.

Ein Politiker sagte zu diesem Fiasko: „Es ist anzunehmen, dass die verantwortungsbewusste Elternschaft durch eindeutige Haltung diesen Ratsbeschluss wegfegen wird.“ Wenn es damit nur nicht zu spät ist. Denn gestern ging der Gemeinderatsbeschluss bereits zur Regierung ab. Man arbeitet schnell in Gieboldehausen!“ [2]

Bleibt noch nachzutragen, dass sich die folgenden Gemeinderatsherrn bei diesem Tagesordnungspunkt enthalten haben: Georg Kurth, Karl Gerhardy, Heinrich Gerhardy, Clemens Gerhardy, Franz von Berg und Willi Döring. Gegen den Antrag stimmte Karl Wüstefeld.

Der Beschluss des Gemeinderats wurde keineswegs von den Eltern „hinweggefegt“ und die aufgeblasene Kommentierung der Südhannoverschen Volkszeitung erwies sich als der erfolglose Versuch, gestriges Denken als zukunftsfähig zu erweisen. Und die Anmaßung, professionelles Lehrerverhalten als „dissidentisch“ zu bezeichnen, war nichts sonst als polemische Diffamierung und zeigte auch damals schon der interessierten Öffentlichkeit, welch weiten Weg das eichsfeldisch-katholische Denken in Sachen Bildung und Schulpolitik noch vor sich hatte. Allerdings war die SV mit dieser Kampagne nicht allein auf weiter Flur. Im Gegenteil: Sie war bis in die Wortwahl hinein („Dissident“) Teil eines durch die katholischen Bischöfe landesweit gesteuerten Angriffs auf das niedersächsische Schulgesetz - und damit auf die Landesregierung und den Ministerpräsidenten Kopf (SPD).

Wie ging es weiter? Es muss an dieser Stelle zunächst ein kurzer Exkurs in die „große“ Politik folgen, um die damalige Diskussion über das Konkordat und das niedersächsische Schulgesetz zu verstehen. Erst dann lässt sich die Angelegenheit auch gemeindepolitisch einordnen.

Teil III folgt.


[1]Kreisarchiv Göttingen, LK DUD Nr. 1069

[2] „Südhannoversche Volkszeitung“ vom 24.1.1956, gelesen im KA LK DUD Nr. 1069