Preußen organisiert seinen Einfluss auf die Kriegervereine

Um die politische Stoßrichtung der Kriegervereine zu bündeln und den eigenen Einfluss auf diese zu verstärken, erließ der Minister des Innern zum 1. Januar 1896 eine neue Normalsatzung für die Vereine des Deutschen Kriegerbundes. Die Annahme dieser Mustersatzung wurde allen im Landkreis Duderstadt bereits bestehenden Kriegervereinen empfohlen – unabhängig davon, ob sie in einem Verband organisiert waren oder ob sie sich als Verein im Dorf genug waren. Ein Vergleich der alten mit der neuen Satzung zeigt sofort, wohin es künftig gehen sollte: Liebe und Treue für Kaiser und Reich, Landesfürst und Vaterland galt es fortan in den Vordergrund zu stellen, auch Anhänglichkeit an die Kriegs- und Soldatenzeit und nationale Gesinnung. Die Mitgliedschaft im Kriegerverein war ganz von unverbrüchlicher Treue gegen König und Vaterland abhängig. Für die als ehemalige Untertanen des Königshauses Hannover eher welfisch orientierten Mitglieder des Bilshäuser Kriegervereins waren das anspruchsvolle Forderungen. Sollte man einlenken und sich anpassen? Oder zunächst einfach abwarten? Mitglieder und Vorstand entschieden sich gemeinsam für das Abwarten und spielten auf Zeit. Doch der preußische Druck auf die zuständigen Verwaltungsbehörden des Landkreises ließ nicht nach. Schon am 31. Dezember 1897 erkundigte sich der Vorstand des Deutschen Kriegerbundes in einem Schreiben an den Landrat nach dem Stand der Umsetzung der Satzung in den Vereinen. In einem weiteren Brief setzte er den Südhannoverschen Kriegerverband massiv unter Druck und schlug die Auflösung des Verbandes in selbstständige Kreisverbände vor, die dem Deutschen Kriegerbund angegliedert werden sollten.

Der Südhannoversche Kriegerverband war ein Relikt aus der vergangenen Zeit des Königreiches Hannover. Er hatte sich als eine Art Dachorganisation der ehemals welfischen Kriegervereine Südhannovers in die Zeit nach 1870/71 hinübergerettet. Der Anschluss der Kriegervereine an diesen Dachverband geschah freiwillig. Die untereichsfeldischen Kriegervereine gehörten ihm großenteils noch nicht an. Die politische Ausrichtung der Vereine war allerdings nach wie vor mehrheitlich eher welfenfreundlich. Darüber hinaus war das Eichsfeld eine katholische Enklave und geriet schon wegen der immanenten Anerkennung des römischen Papsttums immer wieder einmal in den Verdacht der Befürwortung des Ultramontanismus.

Doch so leicht, wie die Preußen sich das gedacht hatten, wollte sich der südhannoversche Verband nicht geschlagen geben. Zwar übernahm er jetzt die inhaltlichen Vorgaben aus Berlin, die diese in einem Brief unter dem Datum des 30. Juli 1898 zur Voraussetzung des Fortbestehens von Kriegervereinen forderte. So führte er in den Monaten August und September 1898 eine umfangreiche „Schnüffelaktion“ in allen südhannoverschen Kriegervereinen durch, deren Ziel es war, die „irregeleiteten Kameraden“ – gemeint war damit die Sozialdemokraten – auszusondern und aus dem Verein „abzustoßen“. Für den Fall, dass diese höchste Weisung nicht befolgt würde, drohten die Verantwortlichen im Preußische Kriegerbund mit der Auflösung des Vereins! Jedes einzelne Mitglied musste eine Erklärung unterschreiben, dass es weder der „socialdemokratischen Partei“ angehöre, „noch deren Bestrebungen moralisch oder thätlich unterstütze“ und „ausdrücklich nationale und patriotische Gesinnung“ bekunden. [1] Und den Vorständen der Kriegervereine, welche sich nicht in der Lage sahen, in dieser Frage energisch durchzugreifen, legte man auch gleich den Rücktritt nahe. Angesichts der Tatsache, dass es ohnehin kaum eine organisierte Sozialdemokratie in den Dörfern gab, konnten die Vereine diese Überprüfung relativ gelassen angehen.

Vor größere Probleme sah sich der südhannoversche Verband erst gestellt, als der Deutsche Kriegerbund scharf welfenfeindlich agitierte und einzig und allein den preußischen König als Bezugsperson der nationalen Liebe und Treue zu Kaiser und Reich nannte. Die traditionelle Welfenfreundlichkeit wurde durch dieses Begehren auf eine harte Probe gestellt.

Die Bemühungen des Landrats um die „wilden“ (weil nicht organisierten) Vereine verstärkten sich im Laufe des Jahres 1898. Am 27. Januar 1898 stand der Anschluss des Bilshäuser Vereins an den Südhannoverschen Kriegerverband (der ja mittlerweile durch Preußen kontrolliert wurde) auf der Tagesordnung der Generalversammlung. Der Vorsitzende des Vereins erläuterte die Statuten des Kriegerverbandes und die Vorteile einer Mitgliedschaft in demselben. Auch auf den Wunsch des Deutschen Kriegerbundes und die Hinweise des Landrats hierzu, den Anschluss unbedingt zu vollziehen, wies der Vorsitzende hin. Die Abstimmung hingegen erwies sich als eine Schlappe für die Betreiber des Anschlusses. Von den 95 anwesenden Mitgliedern stimmten 80 gegen den Beitritt, 11 dafür, 4 Stimmen waren ungültig. Der Kriegerverein Bilshausen hatte den preußischen Machthabern mit diesem Votum ein letztes Mal die Stirn geboten.

Warum eigentlich versuchte Preußen, seinen politischen Einfluss auch über die Kriegervereine gelten zu machen? Ein Blick auf die damaligen Bevölkerungszahlen macht das schlagartig deutlich. Die Volkszählung im Oktober 1906 brachte in Bilshausen folgendes Ergebnis:

255 bewohnte Häuser,

741 weibliche Personen,

501 männliche Personen.

Frauen besaßen Ende des 19. Jahrhunderts kein Wahlrecht. In der Zahl von 501 männlichen Personen sind die nicht wahlberechtigten Kinder und Jugendlichen enthalten. Die Mitgliederzahl des Kriegervereins lag in diesen Jahren regelmäßig etwa um die 120 Männer. Das bedeutete, dass ein erheblicher Teil der Bilshäuser Wahlberechtigten Mitglied des Kriegervereins war. Politischer Einfluss auf die Kriegervereine war für die preußische Regierung der kürzeste Weg, übergeordnete politische Interessen im Denken der Männer zu verankern und dann möglichst auch durchzusetzen.

Die Kriegervereine werden gleichgeschaltet

Das Schicksal des Südhannoverschen Kriegerverbandes wurde dann durch die „Allerhöchste Ordre“ vom 21.11.1898 endgültig besiegelt. Alle Kriegerorganisationen im Reich wurden gleichgeschaltet, das Kriegervereinswesen völlig neu organisiert und straff strukturiert. Der Südhannoversche Kriegerverband war vom 1.1.1899 an ein Teil des Preußischen Landes-Kriegerverbandes. Doch noch immer nicht gehörten alle örtlichen Vereine diesem Südhannoverschen Verband und damit dem Landesverband an. Das sollte sich ändern.

Am 16. und 17. Juli 1904 beging der Bilshäuser Kriegerverein sein 25-jähriges Bestehen. Zu diesem Tag hatte der Verein die umliegenden Kriegervereine eingeladen, von denen 17 der Einladung folgten. Gegen Mittag holten die Bilshäuser die Gastvereine „Vor dem Thore“ und am Bahnhof mit Musik ab. Die Kapelle des Kurhessischen Infanterie-Regiments Nr. 82 begleitete den Umzug zum Festplatz „Auf dem Osterberge“ (heute: oberhalb vom alten Sportplatz „Unter dem Laube“), wo der amtierende Vorsitzende W. Bringmann alle Festteilnehmer, Kriegervereine und Einwohner herzlich begrüßte. Namens der Gastvereine gratulierte der Duderstädter Kriegervereinsvorsitzende, der Rendant Ballin [2]. Eine Schar von 120 Ehrendamen überreichte sodann ein kostbar gesticktes Fahnenband, das fortan die Fahne des Bilshäuser Kriegervereins zierte [3]. Die Stimmung in Bilshausen war so herzlich, "daß die Vorstände und Vertreter der anwesenden Kriegervereine in einer anberaumten Vorstands-Sitzung beschlossen, hierfür den wärmsten Dank auszusprechen und dem Kriegerveein zu Bilshausen zu dessen Jubelfeste die besten Glückwünsche darzubringen.... Den Glanzpunkt des Festes bildete der imposante Festzug, welcher durch die Hauptstraßen des Ortes seinen Weg nahm und nach dessen Beendigung die Fahnen unter den Klängen des Präsentiermarsches abgebracht wurden [4].

Nur wenige Tage nach diesem Jubiläumsfest, noch mitten in die feierliche Stimmung hinein, traf ein Schreiben des Preußischen Landeskriegerverbandes beim Landrat in Duderstadt ein, welches alle eichsfeldischen Kriegervereine wieder auf den Boden der vereinspolitischen Realitäten zurückholte. Unverhohlen forderte dieser in dem Brief vom 1. August 1904 den Landrat auf, er möge auf die im Brief genannten Vereine in geeignet erscheinender Weise dahingehend einwirken, dass auch sie dem Landeskriegerverband beitreten. Im selben Brief äußerte General Westpfahl, der 1. Stellvertreter des Verbandsvorsitzenden, seinen Unmut darüber, dass u. a. auch der Bilshäuser Verein es „…bisher verschmäht habe, einem Verbande anzugehören, an dessen Spitze Seine Majestät der Kaiser und König als Protektor und Seine Kaiserliche und Königliche Hoheit der Kronprinz als Ehrenvorsitzender steht.“

Erneut wurde der Landrat tätig – jetzt allerdings sehr massiv. In einer Verfügung, ebenfalls datiert auf den 1. August 1904, warf er dem Bilshäuser Verein vor, dass dieser seine Pflichten und Aufgaben als Kriegerverein nicht richtig wahrnehmen würde. Erst der Anschluss an den Preußischen Landeskriegerverband könne den Verein in die Lage versetzen, im Sinne wirklicher Liebe und Treue zu Kaiser und Vaterland tätig zu werden. Art und Weise der Formulierung der Verfügung machte allen Bilshäuser Vereinsmitgliedern klar, dass bei einer erneuten Verweigerung des Anschlusses wohl die Auflösung des Vereins durch behördliche Anordnung zu erwarten war. Der Landrat stellte in seinem Schreiben auch gleich ein Ultimatum: Bis zum 15. Dezember hatte die gewünschte Beschlussfassung zu erfolgen.

Diese Forderung – so unmissverständlich sie vorgetragen wurde – löste im Verein Wirkung aus. Sie führte gegen Ende des Jahres 1904 zu lebhaften Auseinandersetzungen im Kriegerverein. Auf der Generalversammlung am 26. Dezember entschieden sich die Mitglieder dann jedoch einstimmig dafür, dem Südhannoverschen Kriegerverband beizutreten. In seinem Brief an den Landrat teilt der Vorsitzende W. Bringmann allerdings nicht mit, wie viele Mitglieder an der Abstimmung teilgenommen haben. Es wird in diesem Zusammenhang aber nur sehr wenige Austritte gegeben haben, denn spätere Zahlenangaben befinden sich etwa auf dem gleichen Niveau wie die von 1904/1905. Die Männer verhielten sich pragmatisch, sie wollten auf die erworbenen Rechte aufgrund ihrer Mitgliedschaft nicht verzichten.

Der Vereinsvorsitzende fuhr Anfang des Jahres 1905 nach Göttingen, um dort die Aufnahme in den Südhannoverschen Kriegerverband zu beantragen. Bei dieser Gelegenheit wurde ihm die Ungültigkeit der alten Vereinssatzung eröffnet, die neue Satzung bekam er gleich als Beschlussvorlage überreicht. Schon am 16. Januar 1905 akzeptierte die erneut einberufene Generalversammlung die neue – preußisch orientierte – Satzung. Am 27. April des gleichen Jahres erhielt der Bilshäuser Kriegerverein die Bestätigungsurkunde aus Göttingen. Jetzt erst war der Verein eingetragenes Mitglied des Preußischen Landes-Kriegerbandes.


[1] Kreisarchiv (KrA), Der Kriegerverein Bilshausen

[2] Hier wird es sich um den Angehörigen der jüdischen Familie Ballin aus Duderstadt handeln, die in der Marktstraße ein Warenhaus betrieb. Da es seit 1898 in Duderstadt auch eine Synagoge gab, könnte es sich bei Ballin um den Rendanten der Synagogengemeinde gehandelt haben. Vgl. Ebeling/Fricke: Duderstadt 1929-1949, Duderstadt 1992

[3] Stadtarchiv Duderstadt (StA), „Der Volksbote“ vom 21. Juli 1904

[4] Zeitung für`s Eichsfeld, 20. Juli 1904

[5] Kreisarchiv (KrA) II/I/G Nr. 4