"Das Volk muss bald von diesen Schmarotzern befreit werden!" Der Höherberg als Schauplatz eines Vorgangs im Dritten Reich - Nazibürgermeister gegen Augustinerpater
Auch im Eichsfeld hat der Nationalsozialismus dramatisch in den Alltag eingegriffen. Die Schauplätze liegen nicht immer "anderswo, weit weg", sie liegen vor der eigenen Haustür, auch auf dem Höherberg.
Der hier beschriebene Vorgang spielte sich im Juli des Jahres 1935 ab, zwei Jahre nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten. Die Namen der Handelnden sind aus den Archivunterlagen bekannt und öffentlich einsehbar, wir benennen sie hier nach der Reihe ihres Auftritts mit den ersten Buchstaben des Alphabets. Im Kern ist es eine Auseinandersetzung zwischen den Nationalsozialisten vor Ort und der katholischen Kirche mit seinen Protagonisten des Zentrums (also der katholischen Partei), das aus Opportunitätsgründen - Ironie des Schicksals - den Nationalsozialisten zwei Jahre zuvor mit ihrer Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz den Weg geebnet hatte. Ohne Zustimmung des Zentrums wäre die Ermächtigung jedenfalls an dem Punkt gescheitert.
Bürgermeister A. schreibt am 16. Juli 1935 an den Ortsgruppenleiter eines Höherbergdorfes, den Parteigenossen B: "Am 14. d. Mts. war ich auf der Wallfahrt zum Höherberg. Dort predigte der Prior des Klosters von Germershausen. Dieser Mann beschimpfte offen und getarnt unsere heutige Zeit und die Bewegung unseres Führers. Viele Katholiken haben sich geekelt vor solch gemeinen Verleumdungen. Auf der andern Seite wird aber die Volksgemeinschaft gefährdet und die Volksgenossen auf das Höchste aufgehetzt".
Noch am selben Tag reichte er das gleiche Schreiben beim Herrn Landrat C. in Duderstadt ein und regte an: "Im Interesse der Volksgemeinschaft bitte ich den Prior polizeilich zu vernehmen, damit einmal festgestellt wird, ob diese Halunken auch nur ein wahres Wort sprechen. Das Volk muss bald von diesen Schmarotzern befreit werden." Starke Worte eines eichsfeldischen Bürgermeisters gegen einen Augustinerpater!
Was war geschehen? Nach Angaben des Bürgermeisters A. hatte der Prior des Klosters Germershausen, der Augustinerpater Nebridius Greubel, seine Predigt von Beginn an "...auf Kampf gegen die nationalsozialistische Weltanschauung eingestellt.... Zu ihm selber (dem Prior) sei ein Mann gekommen, der seit langem für eine nationale Bewegung gekämpft habe. Er hätte aber durch die Machenschaften der nationalsozialistischen Bewegung an seinem katholischen Glauben Schiffbruch erlitten...Er sei wegen seiner Religiösität wiederholt verspottet worden. Auch sei er gezwungen worden Bücher zu lesen, die von der katholischen Kirche verboten seien. Er könne das nicht mehr mitmachen und würde auch demnächst seine Konsequenzen daraus ziehen. Er könne sich dann wieder als Kämpfer für den Glauben in die vorderste Reihe stellen."
Diese Aussagen trug Bürgermeister A. am 18. Juli dem Landrat C. in Duderstadt bei einer Vorladung im Beisein anderer Zeugen vor. Anwesend dabei auch der Bürgermeister und NSDAP-Kreisleiter D. der Kreisstadt Duderstadt.
Im Anschluss an seine Aussagen traten die Zeugen Bürgermeister E. (Germershausen) und Bürgermeister F. (Wollbrandshausen) auf, die den Inhalt der Predigt nach Kräften relativierten, sich klar und deutlich von der Position des Bürgermeisters A. distanzierten und diese wohl eher als überspitzt und boshaft bezeichneten. Das Ergebnis der Zeugenvernehmung fasste Landrat C. in einem Schreiben vom 23. Juli 1935 an den Herrn Regierungspräsidenten in Hildesheim dann zusammen. Am gleichen Tag ging das Ergebnis der Zeugenbefragung per Brief auch an die Staatspolizeistelle in Hannover. Man wollte auf Seiten der eichsfeldischen Verantwortlichen sichergehen und einer Verurteilung des Priors zumindest nicht im Wege stehen. Das Schreiben wurde auf Wiedervorlage gelegt zum 3. September. Nachdem nichts passiert war, wartete man noch bis zum 23.9. und legte den Vorgang, da sich die Gestapo nicht gemeldet hatte, leise zu den Landratsakten. Offenbar hatten die Zeugen aus Germershausen und Wollbrandshausen durch ihre Aussagen dafür sorgen können, dass die Geschehnisse etwas "tiefer gehängt" werden konnten. Es passierte - Gott sei Dank - nichts!
Niemals war dieses Geschehen nach 1945 irgendwo Gegenstand von Aufarbeitung. Selbst im Kloster wusste man nichts davon, bis die Begebenheit im Jahre 2013 anlässlich einer Veranstaltung im Kloster Germershausen Gegenstand einer Rede des damaligen stellv. Landrats Reinhard Dierkes wurde. Ein Augustinerpater aus Rhumspringe, mittlerweile im Ruhestand im Stammhaus in Münnerstadt, war anwesend und nahm interessiert Kenntnis - und seit der Zeit ist es als Vorgang mit den entsprechenden Archivunterlagen auch im Kloster Münnerstadt archiviert.