Eingliederung in das dörfliche Leben

Schon in den Anfangsjahren des Kriegervereins kam es zu Spannungen zwischen der katholischen Kirche und Teilen des Kriegervereins. Ein Grund dafür könnte die ideenpolitische Grenze zwischen der Sympathie für den preußischen Staat und für das Deutsche Reich von 1871 und einer Ablehnung dieser Reichsgründung gelegen haben, die sicher noch verschärft wurde durch den der katholischen Kirche aufgezwungenen Kulturkampf der 1870-er Jahre. Es kann aber auch möglich sein, dass diese unten beschriebene Ausgrenzung eher etwas mit dem beruflichen Stand der um Aufnahme ersuchenden jungen Männer zu tun hatte.

Dieser Konflikt wird in einem Schreiben deutlich, welches drei Junggesellen des Bilshäuser Kriegervereins am 12. Februar 1882 an den „geehrtesten Herrn Kreishauptmann von Ofen“ richteten. Der Brief ist für Bilshausen von besonderer Bedeutung, da hier zum ersten Mal von einem katholischen Junggesellenverein im Ort die Rede ist, aus dem dann einige Jahre später der Josephsverein und dann die Kolpingfamilie hervorgingen. Die Kolpingfamilie geht bisher von einem Gründungsdatum im Jahre 1896 aus. Da das folgende Dokument 14 Jahre älter ist, muss die örtliche Geschichtsschreibung eventuell ergänzt werden.

In dem von Karl Strüber, Karl Wüstefeld und Franz Engelhardt unterzeichneten Schreiben heißt es u. a.:

Wir Junggesellen vom Kriegerverein von Bilshausen werden Sie hierdurch in Kenntnis setzen, daß die Junggesellen von Bilshausen, die kein Soldat gewesen sind, daß dieselben jetzt einen katholischen Junggesellenverein gebildet haben und auch uns Junggesellen vom Kriegerverein erst mit aufgenommen hatten, da wir schon das Eintrittsgeld und schon 2 monatliche Beiträge bezahlt hatten, da dieselben herkamen in der Versammlung am 9. Februar über eine Abstimmung uns Junggesellen vom Kriegerverein aus ihrem Verein wieder ausgestoßen haben, wo dieselben gar keinen Grund zu hatten….“[1]

Diesen Vorgang fassten die drei Unterzeichner als eine grobe „Beleidigung“ ihrer Person und ihres Ansehens als gediente Junggesellen auf. Der eigentliche Zweck ihres Schreibens wird allerdings erst einige Zeilen später deutlich, wenn sie

„….Herrn Kreishauptmann herzlich bitten, wenn in (den) nächsten Tagen der Vorstand vom katholischen Junggesellenverein die Genehmigung von dem Herrn Kreishauptmann wünschen, ihnen dieselbe doch nicht ertheilen? Oder wenn der Herr Kreishauptmann die Genehmigung ertheilen will doch nicht anders erteilt, als daß wir Junggesellen vom Kriegerverein an dem katholischen Junggesellenverein theilzunehmen haben, …“ [2]

Eines wird durch diese Eingabe deutlich: Schon früher als bisher angenommen begann auch die katholische Kirche in Bilshausen damit, die jungen Gesellen und Arbeiter in einem Verein zu organisieren, der ein ganz bestimmtes soziales Anliegen vertrat, nämlich das Bekümmern um die wandernden Gesellen und deren Schutz und geistliche Betreuung überall in Deutschland. Dass diese Vereinsgründung mit Billigung, wahrscheinlich aber auch auf Betreiben des damaligen Pfarrers Eichmann stattgefunden hat, kann als gesichert gelten. Gegen die Stimme des zuständigen Pfarrers ist so etwas kaum denkbar.

Bleibt die Frage zu klären, warum der Gesellenverein die drei Briefschreiber trotz bereits gezahlter Beiträge wieder ausschließen wollte. Natürlich könnte ein Grund darin liegen, dass mit dem Kriegerverein und seinen Mitgliedern ein pro-preußisches, die sog. Kleindeutsche Reichsgründung von 1871 bejahendes Denken in den Gesellenverein einfließen könnte. Schließlich hatten die drei ausgeschlossenen jungen Bilshäuser ihren Militärdienst im preußischen Heer absolviert. Es könnte aber auch ein ganz anderer Grund gewesen sein. Die Briefeschreiber werden im Jahre des versuchten Ausschlusses etwa um die 20 Jahre alt gewesen sein. Damit kommt ein Geburtsjahr von etwa 1860 in Betracht. In einer Mitgliederliste des Kriegervereins aus dem Jahre 1912 taucht der Name Karl Wüstefeld auf. Er wurde im Jahr 1860 geboren und könnte einer der drei Briefeschreiber gewesen sein. Von Beruf war er Landwirt. Mag sein, dass dies der ausschlaggebende Grund war. Landwirte waren keine Handwerksgesellen, erst recht nicht mussten sie ihr Geld auf Wanderschaft verdienen. [3]

Unruhe im Dorf

Die letzten Jahre des ausgehenden 19. Jahrhunderts waren auch in Bilshausen geprägt von großer innerörtlicher Unruhe. Die drei bestehenden Vereine St. Josephsverein (später Kolping), Gesangverein „Concordia“ und Kriegerverein betrieben fleißig ihre Vereins- und Kulturarbeit zum Wohle der Gemeinde. Hin und wieder rieben sie sich dabei. Von Zeit zu Zeit führte der „Verein für das katholische Deutschland“ eine seiner Veranstaltungen für den sozialen Fortschritt mit Hilfe christlicher Gewerkschaften durch. Dabei wurde er regelmäßig durch den damals im Amte befindlichen Gemeindevorstand Rinkleff begutachtet. Dazu kamen privaten Fehden, Intrigen und Anschwärzungen, die bis zum Landrat getragen wurden. Der Kriegerverein scheint bei all diesen Aktionen nicht immer ganz unbeteiligt gewesen zu sein.

Das Stimmungsbild dieser Jahre lässt sich aus zwei Vorfällen nachzeichnen, die sich 1895 und 1897 abspielten.

Am Sonntag, 13. Januar 1895, fand in Bilshausen eine Tanzveranstaltung statt. Als der angereiste Gendarm Dröge Feierabend gebot, drangen die Tanzenden auf ihn ein und verprügelten ihn. Dröge zog seine Dienstwaffe und konnte die Situation nur mit Hilfe Dritter bewältigen. Ein junger Bilshäuser wurde bei dieser Aktion lebensgefährlich verletzt. Einen Tag später teilte ein Bilshäuser Einwohner dem Landrat mit;

„… daß jetzt eine furchtbare Unruhe und Schlägerei im Dorfe ist. Um noch mehr Unheil zu verhüten, so bitte ich Sie freundlich, dem Kriegerball, der nächsten Sonntag stattfinden soll, zu entsagen. Denn es ist hier beinahe einer totgeschlagen (worden). Mit Mistgabeln und anderen tödlichen Instrumenten gehen sie aufeinander los. Die meisten von diesen Straßenräubern sind Krieger.

Hochachtungsvoll

N. N.

(namhaft will ich mich nicht machen, aber die Vorsicht ist es).“ [4]

Wiederum einen Tag später beschäftigten sich zwei junge Burschen anlässlich einer Hochzeitsfeier mit Pistolenschießen. Einer der beiden Burschen verletzte sich dabei erheblich.

Am 18. Januar 1895 fragte der Gemeindevorstand Rinkleff beim Landrat wegen der Genehmigung eines öffentlichen Aufzugs des Kriegervereins am 20.1. durch die Straßen der Ortschaft an. Am 19. Januar verbot der Landrat diesen Aufzug, „..weil mit Rücksicht auf die letzten Sonntag dort vorgekommene bösartige und ausgedehnte Schlägerei nur Unordnungen bei einer solchen Gelegenheit zu befürchten sind.“ [5]

Dieses Verbot umging der Hauptmann des Kriegervereins Dietrich Engelhardt. Er ließ trotz Verbots die Fahne von seinem Haus zum Festlokal holen. Die Entfernung dazwischen betrug etwa 30 Meter. Zwar verlief die Feier bis zum Ende friedlich, die Tatsache des verkürzten „Umzugs“ rief jedoch die Polizei auf den Plan. Engelhardt nahm alle Schuld auf sich. Der Polizist bestätigte im Verlaufe des Verfahrens, dass Engelhardt „…ein in jeder Hinsicht ordentlicher Mann…“ sei. Das scheint ihn vor einer Bestrafung jedoch nicht verschont zu haben, wie aus einem weiteren Schreiben des Landrats geschlossen werden kann. [6]

Einweihung des Kriegerdenkmals

Die drei im Dorf bestehenden Vereine hatten sich stets der in den Kriegen von 1866 und 1871 gefallen Bilshäuser jungen Männer erinnert. Und spätestens seit etwa 1890 stellten die Männer Überlegungen darüber an, wie man den Opfern der beiden Kriege ein würdiges Denkmal der Erinnerung in ihrem Heimatort setzen könnte. Zumindest im Gesangverein „Concordia“ und im Kriegerverein waren diese Überlegungen sehr intensiv. Eine alleinige Finanzierung durch den Gesangverein war unmöglich, hätte aber auch der Intention der gemeinsamen Erinnerung nicht wirklich genügt. Der Kriegerverein hätte eine solche Aufgabe nicht bewältigen können, ohne an die Substanz zu gehen und dadurch seine sozialen Pflichten zu vernachlässigen. Deshalb half die Gemeinde, zumal es ja auch im öffentlichen Interesse lag, ein solches Denkmal nicht einem der Vereine zu überlassen. Und so ging der Gemeindevorstand zu Beginn der 90-er Jahre Planung und Ausführung eines solchen Denkmals an. Als Platz dafür fasste die Gemeinde den „Plan“ ins Auge. Er lag zentral und bot genügend Platz für die Aufzüge der Vereine. Als Termin für die Einweihung setzte der Gemeindevorstand den 17. Januar 1897 fest.

Doch schon im Vorfeld dieser Einweihungsfeier gab es unschöne Wort- und Briefwechsel über das Denkmal. Ein Briefeschreiber, der sich Heinrich Engelhardt nannte, schwärzte unter dem Datum des 9. Januar 1897 einen früheren Soldaten beim Landrat an, weil dieser sich über das geplante Kriegerdenkmal

„…in auffälliger Weise geäußert (hatte), früher hätte an dieser Stelle ein Schandpfahl gestanden und jetzt wäre wieder einer am Platze. Ich als Soldat muß solche Vergleichungen unseres Denkmals mit einem Schandpfahl als eine grobe Beleidigung entschieden zurückweisen und bitte Königlichen Landrat, mich in Schutz zu nehmen.“[7]

Als Zeugen gab der Briefeschreiber u. a. den Hauptmann des Kriegervereins an. Mit dem Schutzbedürfnis hatte Engelhardt allerdings etwas übertrieben. Da mehrere Männer mit dem Namen Heinrich Engelhardt in Bilshausen wohnten, konnte der Briefeschreiber nie ermittelt werden.

Trotz dieser nicht wirklich optimalen Vorgeschichte hielt die Gemeinde am geplanten Einweihungstermin fest. Die „Zeitung für das Eichsfeld“ berichtete über diesen Tag in ihrer Ausgabe vom 21.1.1897:

„In Bilshausen wurde am Sonntagnachmittag nach beendetem Gottesdienste unter reger Beteiligung der ganzen Einwohnerschaft, sowie verschiedener Deputationen auswärtiger Kriegervereine ein schönes Kriegerdenkmal unter entsprechenden Festlichkeiten eingeweiht.“ [8]

Die Inanspruchnahme des Denkmals als symbolische Aufzugsstätte entwickelte sich in den nachfolgenden Jahren in eine Richtung, die parallel zur Entwicklung des Deutschen Reiches und später dann der Weimarer Republik verlief. War es ursprünglich ein Denkmal der Erinnerung und des Friedens, so wurde es in der Weimarer Zeit zum Zankapfel zwischen Vereinen und der Gemeinde. Im Dritten Reich musste es sich dann als Treffpunkt für Aufzüge der örtlichen Gruppe der Nationalsozialisten und ihrem Bürgermeister missbrauchen lassen. Nach dem 2. Weltkrieg fiel es in den 60-er Jahren Dorferneuerungsmaßnahmen zum Opfer und verschwand aus den Blicken der Dorfbewohner. Im „Großen Berg“ stehen noch Teile des Denkmals und verwittern dort seit dieser Zeit. Im Jahre 1997 jährte sich die Einweihung des Denkmals zum hundertsten Male, ohne dass es im Dorf irgend eine Resonanz gegeben hätte. Der Kriegerverein ist aus dem Gedächtnis der Gemeinde verschwunden – das betrifft sowohl seine eigentliche Vereinsgeschichte als auch sein Wirken in der Vergangenheit.


[1] Kreisarchiv Göttingen (KrA): „Der Kriegerverein Bilshausen“

[2] ebenda

[3] Ebenda. Diese Mitgliederliste ist nebenbei eine aufschlussreiche Liste der Berufe, die damals von Bilshäuser Männern hauptsächlich ausgeübt wurden. Von den insgesamt 117 Mitgliedern im Jahre 1912 waren 27 Männer im Baugewerbe tätig, 18 waren Landwirte, 5 Gastwirte, 19 Arbeiter, 14 Hausierer, die restlichen Männer waren – bis auf wenige Invaliden und Rentner - z. B. Handwerksmeister (Sattler, Schmied, Bäcker, Schuhmacher, Tischler, Frisör, Schneider, Schlachter und Maler), Bahnvorsteher, Knecht, Gemeindediener und Briefträger.

[4] Niedersächsisches Hauptstaatsarchiv (Nds.HSA), Bestand 174 Nr. 79

[5] Kreisarchiv Göttingen (KrA), Akte II/I/G Nr. 2

[6] Niedersächsisches Hauptstaatsarchiv (Nds.HSA), Bestand 174/Nr.79

[7] Kreisarchiv Göttingen (KrA), Der Kriegerverein Bilshausen

[8] Stadtarchiv Duderstadt (StA), „Zeitung für das Eichsfeld“, 21.1.1897