Die Diskussion um die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen ist in vollem Gang. Hier eine erste Stimme aus Niedersachsen:

Ministerpräsident Stephan Weil spricht sich für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen in Berlin aus

Warum ich für Koalitionsverhandlungen bin

Es ist lange, sehr lange her, dass ich eine Nacht durchgemacht habe - genau kann ich mich gar nicht mehr erinnern. Im Zweifel waren die Begleitumstände vergnüglicher als in der Nacht vom Donnerstag auf den Freitag. Von Anfang an herrschte keine Party-Stimmung am letzten Tag der Sondierungsgespräche zwischen der SPD und der Union, die schließlich noch einmal mehr als zwanzig Stunden dauern sollten. Am Ende gab es aber auch keine Kater-Stimmung, sondern eher das zufriedene Gefühl, nach harter Arbeit ein gutes Ergebnis auf den Tisch legen zu können. Das war dann der Abschluss einer anstrengenden Woche in Berlin, die am Sonntagmittag begonnen hatte.

Die nächste Woche wird auch anstrengend und spannend, das ist jetzt schon sicher. Am Sonntag ist nämlich der SPD-Bundesparteitag in Bonn, wo darüber entschieden werden soll, ob die SPD mit der Union Koalitionsverhandlungen über die Bildung einer neuen Bundesregierung aufnimmt. Das ist bekanntlich in der SPD umstritten und es wird eine "lebhafte Debatte" geben, wie es so schön heißt. Ich habe dazu eine klare Haltung, und die vertrete ich auch offensiv. Ja, ich bin dafür, dass die SPD darüber verhandelt, in die nächste Bundesregierung einzutreten. Dafür habe ich - neben manchen anderen Gedanken - drei Hauptgründe:

Die Inhalte
Im Dezember hat der SPD-Parteitag seiner Parteiführung klare Vorgaben gemacht, was denn bei Gesprächen mit der Union herauskommen muß. Das Allermeiste davon ist in den Sondierungsverhandlungen durchgesetzt worden. Vieles davon ist, wie ich finde, richtig gut gelungen. Die Bundesrepublik wird einen ganz anderen Europa-Kurs fahren und zusammen mit Frankreich wieder Motor der Europäischen Union werden - Schäuble ade! Das Kooperationsverbot ist jetzt faktisch erledigt und der Bund wird in den nächsten Jahren entlang der ganzen Bildungskette investieren - dafür haben wir jahrelang gekämpft! Das Rentenniveau wird nicht weiter gesenkt und die kleinen Renten verbessert - das schützt sehr, sehr viele ältere Menschen in den nächsten Jahren vor Altersarmut! Diese Beispiele lassen sich beliebig verlängern, mir fällt dazu noch vieles ein. Es ist richtig, andere Forderungen haben wir nicht durchsetzen können - den Wegfall der sachgrundlosen Befristung, die Bürgerversichung vor allem. Aber das kommt eben alles dann nicht, wenn die SPD ‚Nein‘ sagt. Die vereinbarten Punkte rechtfertigen einen Regierungseintritt allemal, davon bin ich überzeugt.

Die Haltung
Aber vielleicht entscheiden am Ende ja gar nicht die Inhalte, obwohl das kaum jemand zugeben mag. Hinter dem Streit in der SPD steht auch eine Haltungsfrage. Die bittere Niederlage bei den Bundestagswahlen steckt vielen noch in den Knochen (mir auch!). Viele meinen, das sei die Konsequenz der letzten Großen Koalition und deswegen könne es besser nur in der Opposition werden. Ich bin da ganz anderer Meinung. Es gibt viele Beispiele, dass Opposition zum Dauerzustand werden kann. Und warum sollen Wählerinnen und Wähler eigentlich eine Partei wählen, die darauf verzichtet, wichtige eigene Anliegen durchzusetzen? Wir müssen es künftig ganz sicher besser machen, aber die eigene Politik lässt sich eben nicht in der Opposition durchsetzen, sondern nur in der Regierung. Deswegen bin ich vor 37 Jahren einmal in die SPD eingetreten - ich wollte nicht Recht behalten, ich wollte etwas bewegen. Daran hat sich eigentlich immer noch nichts geändert.

Die Alternative
Vielleicht sind ja jetzt noch nicht alle von Euch überzeugt. Deswegen muss man auch über die Alternative nachdenken, denn Politik ist ja niemals alternativlos. Scheitern die Gespräche zwischen SPD und Union, ist der weitere Ablauf aus meiner Sicht ziemlich klar. Entweder es kommt schnell zu Neuwahlen (das wäre mein Tipp) oder es dauert etwas länger, bis eine schwache Minderheitsregierung gescheitert ist. Und dann? Dass etwas Besseres dabei herauskäme, kann ich mir derzeit nicht vorstellen, etwas Schlechteres dagegen sehr wohl. Geht es Euch anders? Und können wir verantworten, dass am Ende Rechtspopulisten noch stärker werden? Nein, ich möchte so etwas nicht verantworten. Ob es uns allen gefällt oder nicht, die SPD hat auch jede Menge Gesamtverantwortung für die Demokratie in Deutschland und der müssen wir gerecht werden.

Deswegen werbe ich für ein „Ja“ des Parteitags. Und jedenfalls in Niedersachsen teilen viele diese Meinung. Am Samstag habe ich in Braunschweig beim Neujahrsempfang der dortigen SPD mit mehreren hundert Besucherinnen und Besuchern viel Zustimmung für diese Argumente erhalten und am Sonntag hat der SPD-Landesvorstand einstimmig bei drei Enthaltungen die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen empfohlen.

Hoffen wir also, dass die nächste Woche eine gute wird - für Euch persönlich, aber auch für die SPD.